Investoren pumpen in einem wahnsinnigen Tempo Unsummen in Blitz-Lieferdienste wie Gorillas und Flink. Bislang verbrennen die Startups aber lediglich Geld, anstatt schwarze Zahlen zu schreiben. Der Experte für Lebensmittelmarketing Otto Strecker geht davon aus, dass sich daran nichts ändern wird.
Egal ob Gorillas, Flink, Getir oder Gopuff, eines haben die Blitz-Lieferdienste alle gemeinsam: Sie müssen mit substanziellen Verlusten klarkommen. Investoren schreckt das aber nicht ab. Im Gegenteil: Sie wetten darauf, dass Kunden ihre Einkaufsgewohnheiten ändern und stecken viel Geld in die Startups. Nach Daten von Pitchbook haben Investoren allein im ersten Halbjahr 2021 weltweit drei Milliarden Euro in 44 Unternehmen gepumpt. Davon gingen 1,3 Milliarden Euro an Gorillas, Flink und Getir. Ob sich diese Investitionen für die Geldgeber rechnen werden, ist noch nicht ausgemacht.
Kritiker bezweifeln nämlich, dass die Unternehmen jemals schwarze Zahlen schreiben werden. “Wenn ein Fahrradkurier für eine Liefergebühr von 1,80 Euro zehn Minuten zum Kunden hin- und wieder zurückfährt und Unternehmen dafür eine gigantische Werbeschlacht veranstalten, kann man damit kein Geld verdienen”, sagt Otto Strecker, Experte für Lebensmittelmarketing und Vorstand der AFC Consulting Group AG in Bonn ntv.de.
Investoren nehmen das Risiko, am Ende leer auszugehen, laut Strecker in Kauf, weil sie vor einem grundsätzlichen Problem stehen: “Es gibt einfach zu viel Geld.” In Nullzinsphasen sei jede Rendite, die größer als null ist, eine gute Rendite. Es überwiegt die Hoffnung, dass die Startups ein Modell entwickeln, bei dem ein Monopolist entsteht, der am Ende alle Konkurrenten aussticht.
Flink bringt sich in Stellung
“In der Hoffnung, letztlich das große Geld zu verdienen, werden auf dem Weg dahin wahnsinnig hohe Verluste in Kauf genommen.” Bis die Dominanz erreicht ist, sei die einzige Währung, in der gehandelt werde: Marktanteile. Doch für Strecker geht diese Logik nicht auf. Während die Restaurant-Lieferkette Lieferando keine eigenen Küchen betreibt und nur den Transport organisiert, mieten Gorillas und Flink eigene Lager an. “Am Ende sitzt auch der letzte Player im Markt auf einer schwierigen Kostenstruktur”, sagt Strecker. Er prognostiziert deswegen einen harten Verdrängungswettbewerb: Die Old Economy wird sich bei den Blitz-Lieferdiensten einkaufen.
Dass sich der Supermarkt-Riese Rewe und Flink Anfang Juni auf eine strategische Partnerschaftgeeinigt haben, stützt seine Prognose. Dieses Beispiel zeigt auch, wer in Wirklichkeit von wem abhängig ist: “Nicht Flink ist ein attraktiver Partner für Rewe, sondern Rewe ist ein attraktiver Partner für Flink”, sagt Strecker. Gorillas und Flink haben es auch deshalb so schwer, schwarze Zahlen zu schreiben, weil Lebensmittel-Lieferdienste ihr Geld eigentlich nur im Einkauf verdienen. Und damit haben selbst große Player wie Kaisers Tengelmann oder Real ihre Schwierigkeiten gehabt.
Blitz-Lieferdienste bewegen zu wenig Menge und können deswegen nicht günstig einkaufen. “Die Partnerschaft mit Rewe führt dazu, dass Flink Zugang zu den Einkaufskonditionen von Rewe bekommt.” Das verbessert die Ausgangsposition um das Wettrennen an der Spitze für Flink deutlich. “Wir sind überzeugt, dass wir durch unsere Kooperation im Bereich Ware einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass Flink zur Nummer eins in seinem Segment in Deutschland wird”, sagt Rewe-Chef Lionel Souque. Einem Schwergewicht wie Rewe geht es hingegen laut Strecker bei solch einer Zusammenarbeit nicht darum, das große Geld zu verdienen. Das Unternehmen wolle viel mehr lernen, seine Prozesse zu digitalisieren.
Wettbewerb noch härter geworden
“Wir sehen seit Jahrzehnten, dass Lebensmittelauslieferung kaum profitabel ist”, sagt Strecker. Es sei denn, Unternehmen verlangen hohe Liefergebühren. Das gibt der Markt momentan aber noch nicht her. Deshalb gelingt es selbst Amazon mit seinem Lieferservice Amazon Fresh nicht wirklich, erfolgreich zu sein. Es ist inzwischen zehn Jahre her, dass Amazon Fresh in den Markt eingetreten ist. “Ich erkenne nicht, dass wir inzwischen flächendeckend alle von Amazon Fresh mit Lebensmitteln versorgt werden.”
Strecker erinnert daran, dass es bereits kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase eine Reihe von Versuchen gegeben hat, Geld mit Lebensmittel-Lieferdiensten zu verdienen. “Das hat damals schon nicht geklappt. Alle Versuche sind krachend gescheitert.” Und damals seien die Ambitionen noch vergleichsweise zurückhaltend gewesen. Schließlich sei zwanzig Jahren keine Rede von Lieferungen im Zehn-Minuten-Takt gewesen.
Zuletzt ist der Wettbewerb noch härter geworden als er ohnehin schon ist. Das rückläufige Wachstum bringt Restaurant-Lieferer wie Lieferando auf neue Ideen. Auch sie wollen schon bald Lebensmittel ausliefern. “Jeder der einen fahrbaren Untersatz hat, glaubt, er müsse jetzt in das Geschäft mit Lebensmittellieferungen einsteigen”, sagt Strecker. Dabei ist für ihn auch klar: Spätestens wenn Investoren nicht mehr bereit sind, die Geschäftsmodell der Blitz-Lieferdienste durchzufinanzieren, ist der Hype wieder vorbei.
Quelle: ntv.de